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Nubien - Land am Nil

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Bibliotheca Historica

[ Einleitung | Cap. 01-14 | Cap. 15-29 | Cap. 30-41 ]
[ Cap. 42-56 | Cap. 57-70 | Cap. 71-84 | Cap. 85-98 ]

- Cap. 85-98 -


85 / Der Apis

Hier müssen wir beifügen, was noch über den heiligen Stier, den man Apis nennt, zu sagen ist, Wenn er gestorben und mit großer Pracht begraben ist, so suchen die dazu bestimmten Priester ein Kalb auf, das am Leib ähnliche Merkmale hat, wie der vorige Stier. Haben sie es gefunden, so darf das Volk die Trauer ablegen. Und andere Priester haben nun dafür zu sorgen, daß das Kalb zuerst nach Nilopolis (?) gebracht wird, wo es vierzig Tage lang seinen Aufenthalt hat. Hierauf schiffen sie es auf einer Gondel ein die ein vergoldetes Zimmer hat, und führen es als Gott nach Memphis, in das Heiligthum des Hephästos. Die Weiber dürfen es nur während jener vierzig Tage sehen; sie Stellen sich ihm gegenüber, und zeigen ihre Blöse unverhüllt. Die ganze übrige Zeit ist es ihnen verboten, vor das Angesicht dieses Gottes zu kommen. Die Verehrung dieses Stiers hätte nach Einigen darin ihren Grund, daß in denselben die Seele des sterbenden Osiris übergegangen wäre, und deßwegen bis jetzt immerfort, so oft ein neuer Apis geweiht wurde, in diesen hinüber wanderte. Andere erklären die Sache daraus, daß, nachdem Osiris von Typhon ermordet worden und Isis seine Glieder wieder zusammengebracht, sie dieselben in eine mit Byssus (?) bekleidete hölzerne Kuh gelegt habe; daher sey auch der Name der Stadt Busiris [aus Bus (Kuh) und Osiris] entstanden. Es würde zu weit führen wenn wir die vielen andren Fabeln, die man noch vom Apis erzählt, nacheinander durchgehen wollten.

 

86 / Ursprung des Thierdienstes; weitere Beschreibungen

Das Wunderbare in dem Thierdienst der Aegypter, das allen Glauben übersteigt, setzt Den, der die Ursachen davon erforschen will, in große Verlegenheit. Die Priester halten ihre Ansicht von solchen Dingen geheim, wie wir oben bei der Götterlehre gesehen haben. Das Volk aber in Aegypten gibt dreierlei Ursachen an. Die erste Erklärung ist ganz mährchenhaft, und, und gehört noch der Einfalt des Alterthums an. Man sagt, in der Urzeit sey die Zahl der Götter klein gewesen, und die Menge und Zügellosigkeit der erdegeborenen Menschenhabe sie überwältigt; nin haben sie die Gestalten gewisser Thiere angenommen, und sich auf diese Art gegen die Gewaltthätigkeiten jener Wilden gesichert; nachher, als sie die Herrschaft über die ganze Welt erlangt, haben sie, aus Dankbarkeit gegen die vormaligen Werkzeuge ihrer Rettung, die Thiergattungen, in welche sie sich verwandelt hatten, für heilig erklärt, und den Menschen geboten, auf die pflege derselben im Leben, und nach dem Tode auf ihr Begräbniß, viel zu verwenden. Nach der zweiten Meinung war die Veranlassung folgende. Man erzählt von den Aegyptern, sie haben ehemals wegen der Unordnung, die in ihrem Lager geherrscht, viele Schlachten gegen die Nachbarn verloren, und darum beschlossen, ein Abzeichen bei ihren Schaaren einzuführen; so haben sie denn Bilder von Thieren gemacht (von denen, welche sie jetzt verehren), und sie auf Spieße gesteckt, welche die Befehlshaber tragen mußten, und an diesem Merkmale habe Jeder erkannt, zu welcher Abtheilung er gehörte; weil ihnen nun die dadurch hergestellte gute Ordnung zum Siege sehr behülflich gewesen, so haben sie geglaubt, ihr Glück den Thieren schuldig zu seyn, und ihnen damit ihren Dank bezeigen zu müssen, daß sie es sich zum Gesetz machten, keines der Thiere, deren Bilder sie einst getragen, zu tödten, sonder sie heilig zu halten und auf die vorhin beschriebene Weise zu pflegen und zu verehren.

 

87 / Ursprung des Thierdienstes; weitere Beschreibungen

Der dritte Grund, woraus man die sonderbare Erscheinung erklärt, ist der Nutzen, den jedes dieser Thiere dem gemeinen Wesen und den einzelnen Bürgern schafft. Die Kuh, sagt man, diene ja zur Zucht der Ackerstiere, und einen lockeren Boden pflüge sie selbst um. Das Schaf werfe zweimal; seine Wolle gebe eine anständige und zugleich schirmende Kleidung, seine Milch und der Käse eine ebenso angenehme als nahrhafte Speise. Der Hund sey zur Jagd brauchbar und zur Bewachung. (Daher wird der Gott, der bei den Aegyptern Anubis heißt, mit einem Hundskopf abgebildet, um anzudeuten, daß er unter Osiris und Isis die Leibwache zu versehen hatte. Eine andere Sage erzählt, es seyen der Isis, als sie dem Osiris suchte, Hunde vorangegangen, welche die Thiere und Jeden, der sich entgegenstellte, abwehrten; auch haben sie durch Heulen ihre Bereitwilligkeit, suchen zu helfen, ausgedrückt; darum lasse man am Isisfest Hunde vor dem Zug vorausgehen; einen Sitte, die eben dazu eingeführt sey, an den Dienst zu erinnern, welche diese Thiere einst geleistet.) Die Katze schaffe Hülfe gegen die Aspiden, deren Bis tödlich ist, und gegen andere giftige Schlangen. Der Ichneumon laure auf die Brut des Crocodils, und so bald dieses die Eier verlasse, zerbreche er sie sorgfältig und eifrig, ob er gleich keinen Nutzen davon habe; wenn das nicht geschähe, so würde, bei der schnellen Vermehrung jener Thiere, der Fluß ganz unzugänglich werden. Auch die Crocodile selbst tödte der Ichneumon, und zwar durch ein sonderbares Mittel, das man gar nicht für möglich halten sollte; er wälze sich im Koth, und springe dem Crocodil, das mit offenem Rachen am Ufer schlafe, zum Munde hinein, mitten in den Leib, nage dann schnell den Bauch durch, und komme unverletzt wieder heraus, während das verwundete Thier augenblicklich sterbe. Unter den Vögeln diene der Ibis gegen Schlangen, Heuschrecken und Raupen, und der Habicht gegen Scorpione und Hornschlangen, und gegen kleine giftige Thiere, deren biß besonders den Menschen gefährlich ist. Andere behaupten, dieses Thier werde darum verehrt, weil in Aegypten die Vogelschauer namentlich aus dem Flug der Habichte die Zukunft weissagen. Nach einer andern Sage soll vor langer Zeit ein Habicht den Priestern in Thebä ein Buch gebracht haben, mit einem purpurnen Faden umwickelt, worin Alles aufgezeichnet war, was zu Dienste der Götter und zu ihrer Verehrung gehört; daher komme es, daß die Priester-Schriftgelehrten einen Purpurfaden und eine Habichtsfeder auf dem Kopfe tragen. Der Adler wird in Thebä verehrt, weil es der königliche Vogel, und weil er dem Zeus geheiligt ist.

 

88 / Ursprung des Thierdienstes; weitere Beschreibungen

Den Bock haben die Aegypter aus der selben Ursache vergöttert, aus welcher bei den Griechen die Verehrung des Priapus eingeführt seyn soll, wegen des Zeugungsgliedes; sie schreiben diesen Thieren den stärksten Begattungstrieb zu, und halten das Glied des Leibes, welchem alle lebendigen Wesen ihren Ursprung verdanken, für ehrenwerth. Ueberhaupt, sagen sie, werde es ja nicht in Aegypten allein, sondern auch in andern Ländern bei den geheimen Weihen heilig gehalten, als Quelle des thierischen Lebens. Diese Gottheit sey es, in deren Geheimnisse die Priester in Aegypten, wenn sie das Amt ihrer Väter antreten, zuerst eingeweihet werden. Und aus demselben Grund verehre man die Pane und Satyrn; desßwegen habe man meistens ihre in den Tempeln aufgestellten Bilder mit emporgerichtetem Gliede gestaltet, so daß sie dem Bock ähnlich seyen, der bekanntlich ein sehr fruchtbares Thier sey; durch solche Bilder wollten die Menschen ihren Dank für die große Zahl ihrer Kinder an den Tag legen. "Die heiligen Stiere, nämlich Apis und Mnevis, (so berichten die Aegypter) werden, einer Anordnung des Osiris zufolge, göttlich verehrt, weil zum Ackerbau die Stiere unentbehrlich sind, und weil durch ihren Dienst zugleich der Ruhm der Erfinder des Feldbaues für ewige Zeiten sich auf die Nachwelt fortpflanzt. Röthliche Ochsen aber zu schlachten, ist erlaubt, weil Typhon, der Verfolger des Osiris, an welchem Isis den Mord ihres Gatten rächt, diese Farbe gehabt haben soll. Auch Menschen, die mit Typhon gleiche Farbe hatten, wurden ehemals von den Königen am Grabe des Osiris geopfert. Uebrigens findet man unter den Aegyptern nur Wenige von röthlicher Farbe, mehr aber unter den Fremden. Daher hat sich unter den Griechen die Fabel von der Ermordung der Fremden durch Busiris verbreitet; denn Busiris ist nicht der Name eines Königs, sondern das Grab des Osiris hat in der Landessprache diese Benennung." Die Wölfe, heiß es, verehre man deßwegen, weil sie von Natur mit den Hunden viel Aehnlichkeit haben; diese beiden Thierarten seyen so wenig verschieden, daß durch ihre Vermischung Bastarde erzeugt werden. Indessen geben die Aegypter von der Verehrung der Wölfe noch eine andere Erklärung, die aber fabelhaft lautet. "Als einst Isis mit ihrem Sohne Horus gegen Typhon streiten wollte, so kam Osiris, in der Gestalt eines Wolfes, aus der Unterwelt dem Sohn und der Gattin zu Hülfe; und nachdem Typhon getödtet war, so gebot er den Siegern, das Thier zu verehren, dessen Gestalt ihnen erschienen war in dem Kampf, der darauf so glücklich endete." Andere erzählen, bei einem Einfall der Aethioper in Aegypten haben sich zahlreiche Herden von Wölfen gesammelt, und die Feinde aus dem Lande fortgejagt, bis über die Stadt Elephantine hinaus; daher habe der Bezirk von Lycopolis [Wolfsstadt] seinen Namen, und daher komme es auch, daß man jene Thiere verehre.

 

89 / Ursprung des Thierdienstes; weitere Beschreibung desselben.

Noch ist uns übrig, von der Vergötterung der Crocodile Etwas zu sagen. Die Meisten finden es unerklärbar, wie es Sitte werden konnte, einem Thiere, das doch Menschen anfällt und sie so grausam zerfleischt, göttliche Ehre zu erweisen. Man sagt, die Crocodile seyen es, die noch viel mehr, als der Strom selbst, in welchem sie sich aufhalten, zum Schutze des Landes dienten; die Räuberbanden aus Arabien und Libyen wagen es deßwegen nicht, den Nil herauf zu schiffen, weil sie vor der Menge dieser Thiere sich fürchten; das wäre aber nicht mehr der Fall wenn man die Crocodile verfolgen durfte; denn die Fischer würden sie ganz ausrotten, Andere erzählen, Einer der alten Könige, Namens Menas, habe sich einst, von seinen eigenen Hunden verfolgt; in den See Möris geflüchtet, und da sey er von einem Crocodil wunderbarer Weise auf das jenseitige Ufer hinübergetragen worden. Um nun dem Thiere seinen Dank für seine Rettung zu bezeugen, habe er in der Nähe eine Stadt gebaut, die er Crocodilstadt nannte, auch die göttliche Verehrung dieser Thiere im Lande eingeführt, und den See ihnen geweiht, daß sie dort sich nähren; ebendaselbst habe er für sich ein Grabmal und darüber eine vierseitige Pyramide errichtet, und das viel bewunderte Labyrinth gebaut. Aehnliche Veranlassungen geben sie auch bei den anderen Thieren an; es wäre aber zu weitläufig, Alles aufzuzählen. Daß das allgemeine Beste der Zweck jener Sitte sey, daß hält man deßwegen für gewiß, weil es in Aegypten Leute geben soll, welche manches Eßbare nicht genießen; Einige kosten gar nichts von Linsen, Andere von Bohnen, Andere von Käse oder von Zwiebeln oder irgend einer andern Speise, obgleich das Alles in Menge im Lande zu gaben sey; das sey ein Beweis, daß man sich gewöhnen müsse, auch tauglicher Speisen sich zu enthalten, weil, wenn Alle Alles essen wollten, keine Art von Nahrungsmitteln zureichen würde. Andere Ursachen aber führen z. B. Die an, welche berichten, unter den alten Königen habe sich das Volk häufig empört und gegen seine Fürsten verschworen, nun habe ein Könige, der sich durch Klugheit ausgezeichnet, das Land in mehrere Bezirke eingetheilt, und in jedem derselben den Einwohnern zur Pflicht gemacht, ein gewisses Thier zu verehren oder sich irgend einer Speise zu enthalten, damit es nämlich unmöglich würde, die Aegypter alle zur Uebereinstimmung zu bringen, indem man in jeder Gegend einen besondern Gegenstand der Verehrung hätte, und um das, was anderswo heilig gehalten würde, sich nicht bekümmert. Und diese Folge habe jene Einrichtung offenbar gehabt; die Nachbarstämme seyen alle untereinander uneinig, weil sie an der gegenseitigen Verletzung ihrer Bräuche Anstoß nehmen.

 

90 / ...weitere Beschreibung desselben.

Endlich erklärt man den Thierdienst auch durch folgende Erzählung: "Als die Menschen aus dem thierischen Zustande zum geselligen Leben übergingen, so fraßen sie zuerst einander auf und bekriegten sich, wo der Stärkere immer den Schwächeren überwältigte, Nachher aber fanden es Die, welche an Stärke den Andern nicht gewachsen waren vortheilhaft, sich Schaarenweise zu sammeln und sich gewisse Thiere (die später heilig gehalten wurden) zu Merkzeichen zu wählen. Bei einem solchen Merkzeichen kamen nun Leute zusammen, die in beständiger furcht gelebt hatten, und bildeten so ihren Verfolgern gegenüber einen Achtung gebietenden Verein. Da Dasselbe auch die Andern thaten, so theilte sich die ganze Masse in dergleichen Vereine; und in jedem widerführ dem Thiere, das den Mitgliedern Schutz gewährt hatte, göttliche Ehre, weil man ihm die höchste Wohlthat verdankte, Daher kommt der Unterschied, der noch gegenwärtig zwischen den Aegyptischen jStämmen besteht, daß Jeder nur die Thiere verehrt, welche ihm von Anfang heilig waren. Ueberhaupt findet man unter den Aegyptern mehr Dankbarkeit als bei anderen Völkern, die Wohlthat mag nun kommen, woher sie will; denn sie halten thätigen Dank gegen die Wohlthäter für das sicherste Hülfsmittel zum Lebensglück; Jedermann werde ja offenbar Den am liebsten unterstützen, von dem er am sichersten wisse, daß er die Wohlthat in dankbarem Andenken bewahre. Aus demselben Grunde weihen die Aegypter ihren Königen als wahrhaftigen Göttern Ehre und Anbetung; sie glauben, die höchste Gewalt könne Denselben nicht ohne eine höhere Fügung zugefallen, und, Wer den Willen und die Macht habe, so viel Gutes zu wirken, müsse göttlicher Natur theilhaftig seyn. (?) Von den heiligen Thieren durften wir wohl ausführlicher reden, da unter den Aegyptischen Gebräuchen der Thierdienst das Auffallendste ist.

 

91 / Leichengebräuche und Totengerichte.

Indessen zeigt sich auch in den Leichengebräuchen der Aegypter auffallend genug die wundersame Eigenthümlichkeit ihrer Sitten. Wenn Jemand bei ihnen gestorben ist, so ziehen die Verwandten und Freunde alle, wehklagend und das Haupt mit Erde bestreut, in der Stadt herum, bis die Leiche begraben ist. Sie enthalten sich durchaus der Bäder, des Weins und jeder bessern Kost, auch der schöneren Kleidung. Es gibt dreierlei Arten des Begräbnisses, die Kostbarste, die mittlere und die geringste. Die erste soll ein Silbertalent kosten, die zweite zwanzig Minen, die letzte aber eine ganz unbedeutende Summe. Diejenigen, welche die Leichen zu besorgen haben, sind Kunstverständige, auf welche dieser Beruf erblich übergegangen ist. Sie bringen den Verwandten des Verstorbenen ein Verzeichniß der Preise für die sämmtlichen Leichenkosten, und fragen, auf welche Weise sie wünschen, daß die Bestattung geschehe. Ist nun Alles verabredet, so nehmen sie den Todten mit sich und übergeben ihn den dazu aufgestellten Leuten, daß sie ihn der Sitte gemäß behandeln. Zuerst wird der Leichnam auf den Boden gelegt, und der sogenannte Zeichenschreiber muß in der Weiche an der linken Seite die Stelle ringsum bezeichnen, die herausgeschnitten werden soll. Sodann führt der Ausschneider mit einem Aetiophischen Steine den Schnitt durch das Fleisch so weit, als das Gesetz es bestimmt; im Augenblick aber flieht er eilig, und die Anwesenden verfolgen ihn mit Steinwürfen und mit Verwünschungen, als ob sie die Schuld auf ihn laden wollten, Denn sie glauben Jeden verabscheuen zu müssen, der den Körper eines Mitbürgers gewaltsam antastet und verwundet und verwundet, oder auf irgend eine Weise verletzt. Die Leichensalber dagegen hält man aller Achtung und Ehre werth; sie sind in der Gesellschaft der Priester, und der Zutritt in den Tempel ist ihnen, als heiligen Männern, unverwehrt, Wenn sie sich zur Besorgung der geöffneten Leiche versammelt haben, so greift einer mit der Hand durch den Einschnitt hinein bis in die Brusthöhle, und nimmt Alles heraus, die Nieren und das Herz ausgenommen. Ein Anderer reinigt jedes einzelne Stück der Eingeweide, indem er es mit Palmwein und wohlriechenden Wassern ausspült. Den ganzen Leib aber salben sie zuerst sorgfältig mit Cedernöhl und dergleichen, über dreißig Tage lang; als dann reiben sie Myrrhen und zummt ein, und andere Stoffe, die nicht blos gegen die Verwesung schützen, sondern zugleich Wohlgerüche verbreiten; und wenn sie nun den Todten den Verwandten zurückgeben, so sind alle einzelnen Theile des Körpers so unversehrt erhalten, daß sogar die Haare an den Augenliedern und den Augenbraunen noch vorhanden sind; die ganze Leibesgestalt ist unverändert, und die Gesichtsbildung läßt sich wohl erkennen. So bewahren denn viele Aegypter in prächtigen Gemächern die Leichen ihrer Vorfahren auf, und sehen Leute von Angesicht, welche schon viele Menschenalter todt waren, als sie selbst geboren wurden, es muß ein ganz eigenes Vergnügen gewähren, die Größe und die Umrisse des Körpers sogar die Gesichtszüge der einzelnen Todten sich so anschaulich machen zu können, als ob sie noch leibhaft unter uns lebten.

 

92 / Leichengebräuche und Todtengerichte.

Wenn er Todte bestattet werden soll, so sagen dessen Angehörige den Begräbnißtag den Richtern an und den Verwandten und Freunden desselben; sie melden Das mit den Worten: "es will.... (hier wird der Name des Verstorbenen genannt) über den See gehen." Da kommen dann mehr als vierzig Richter, die sich in einen Halbkreis setzen, auf einem Gerüßte jenseits des Sees und nun wird der Kahn hinabgelassen, der für diesen Zweck von eigenen hiezu bestimmten Leuten gebaut ist, Es steht darin ein Fährmann, welchen die Aegypter in ihrer Sprache Charon nennen. Diese Sitte soll einst dem Orpheus, der sie auf seiner Reise in Aegypten kennen gelernt, Anlaß zu seinen Fabeln von der Unterwelt gegeben haben, die mithin zum Theil Nachbildung, zum Theil eigene Erfindung wären, Das Nähere darüber wird weiter unten vorkommen. Ist der Kahn in den See hinabgestoßen, so steht es indessen nach dem Gesetze Jedem frei, den Todten anzuklagen, ehe der Sarg, in welchem er liegt, in den Kahn gebracht wird, Tritt nun ein Kläger auf, und beweist, daß der Verstorbene lasterhaft gelebt, so sprechen die Richter ihr Urtheil, und das feierliche Begräbniß wird der Leiche verweigert. Finder man aber die Beschuldigtenungegründet, so verfällt der Ankläger in schwere Strafen, Wenn sich ar kein Kläger zeigt, oder wenn Der, welcher auftritt, als Verläumder erkannt wird, so legen die Verwandten die Trauer ab, und lobpreisen den Verstorbenen. Von seiner Herkunft sprechen sie nicht, wie es bei den Griechen gewöhnlich ist; denn die Aegypter glauben alle von gleich edler Abkunft zu seyn. Aber die Geschichte seiner Erziehung und Bildung von Kindheit auf erzählen sie, und beschreiben dann die Frömmigkeit und Gerechtigkeit, die Mäßigung und die andern Tugenden, die er im Mannesalter geübt; zuletzt rufen sie die Götter der Unterwelt an, sie mögen ihn in die Wohnungen der Frommen aufnehmen. Die Volksmenge stimmt in die Lobsprüche ein, und hilft den Todten verherrlichen, der nun in der Unterwelt mit den Frommen fortleben soll. Den Leichnam legt man, wenn die Familie eine eigene Gruft hat, in das für ihn bestimmte Grab. Die aber, welche keine Gruft besitzen, bauen ein neues Zimmer in ihrem Haus und stellen den Sarg aufrecht an die festeste Wand. Auch dann, wenn die Todten nicht begraben werden dürfen, weil sie verklagt, oder weil sie für eine Schuld verpfändet sind, stellt man sie in ihrem Haus auf. Zuweilen geschieht es, daß später ihre Kindeskinder, wenn diese wohlhabend werden, sie schuldfrei machen, den Gläubigern oder den Klägern gegenüber, und sie durch ein prächtiges Begräbnis zu Ehren bringen.

 

93 / Leichengebräuche und Todtengerichte.

Es ist ein achtungswerther Zug in der Denkart der Aegypter, daß sie ihre Aeltern und Vorfahren, nachdem Diese in die ewige Wohnung übergegangen sind, noch so hoch ehren. Sie sind gewohnt, die Leichname der Aeltern den Gläubigern zum Pfande zu geben; aber Wer das Pfand nicht löst, den erwartet Schmach und Schande, und nach dem Tode Verlust des Begräbnisses. In dieser Sitte spricht sich ein gewisses Zartgefühl aus, und zugleich das Bestreben, das wirkliche Bewunderung verdient, ein freundliches und edles Betragen durch die Erinnerung an die Verhältnisse der Lebenden nicht nur, sondern sogar an die Ehre, welche den Todten durch das Begräbniß widerfährt, also durch alle mögliche Beweggründe zu empfehlen. Bei den Griechen beruht der Glaube an das Zukünftige, an den Lohn der Frommen wie an die Strafe der Bösen, auf willkührlichen Dichtungen und entstellten Sagen. Daher können diese Vorstellungen unmöglich die Menschen auf den besten Weg leiten; sie werden vielmehr den Lasterhaften zum Gespötte, und man legt darauf einen sehr Werth. Die Aegypter dagegen lernen nicht aus einer Fabel, sondern durch den Augenschein die Strafe für die Bösen und den Lohn für die Guten kennen; so werden denn Diese sowohl als Jene täglich an ihre Pflichten erinnert, und darin liegt das kräftigste und sicherste Mittel zur sittlichen Veredlung. Für die besten Gesetze aber können nicht diejenigen gelten, welche die Einwohner am reichsten machen, sondern, welche die verträglichsten und die brauchbarsten Bürger bilden.

 

94 / Gesetzgeber der Aegypter

Wir müssen auch von den Gesetzgebern Etwas sagen, welche in Aegypten so eigenthümliche und auffallende Sitten eingeführt haben. Als die Zeit der älteren Verfassung von Aegypten, wo die Gabelgeschichte Götter und Geroen regieren läßt, vorüber war, da soll Mneves der Erste gewesen seyn, die das Volk gewöhnt, geschriebene Gesetze anzunehmen und zu befolgen, ein Mann von großem Geist, aber im Umgange so leutselig wie keiner der bekannten Könige, Weil er sich sehr wohlthätige Wirkungen vin diesen Gesetzen versprach, so gab er vor, wie man sagt, sie kommen von Hermes her. Etwas Aehnliches soll ha auch bei den Griechen geschehen sein, da Minos in Kreta von Zeus, und Lycurg in Lacedämon von Apoll seine Gesetze erhalten haben wollte. Man weiß, daß noch bei mehreren andern Völkern dieselbe Klugheitsregel angewendet worden ist, du daß der Glaube an ein solches Vorgehen einen sehr heilsamen Einfluß gehabt hat. So, erzählt man, habe bei den Arimaspen Zatharaustes dem guten Dämon seine Gesetzgebung zugeschrieben, ebenso bei den Geten, welche an die Unsterblichkeit der Seele Gauben, Zamolris der überall verehrten Besta, und bei den Juden Moses dem Gott, welcher Jav genannt wird; sey es nun, daß sie einen für die menschliche Gesellschaft heilsamen Rath für wunderbare und wahrhaft göttliche Eingebung hielten, oder daß sie nur das Volk durch die Hinweisung auf die Macht und Hoheit der vorgeblichen Urheber ihrer Gesetze zum Gehorsam williger zu machen dachten. "Der zweite Gesetzgeber in Aegypten (so wird weiter berichtet) war Sasychis, ein sehr einsichsvoller Mann. Er vermehrte die vorhandene Gesetzessammlung namentlich mit genaueren Vorschriften über den Götterdienst. Er war der Erfinder der Geometrie, und lehrte die Einwohner die Sterne kennen und beobachten. Der dritte ist Sesoosis, der nicht blos durch seine Kriegsthaten unter allen Aegyptischen Königen sich ausgezeichnet, sondern dem Wehrstand auch eigen Gesetze gegeben und das ganze Kriegswesen in eine bestimmte Ordnung gebracht hat. Der vierte Gesetzgeber ist der König Bocchoris, ein weiser und äußerst gewandter Mann. ER stellte die Verhältnisse der Könige von allen Seiten fest, und machte genaue Verordnungen über Geldanleihen. Auch als Richter bewies er viele Klugheit, und manche seiner trefflichsten Urtheilssprüche haben sich im Munde des Volks bis auf unsere Zeiten erhalten. Er hatte einen sehr schwächlichen Körper; sein Gemüth war von unbegrenzter Habsucht beherrscht."

 

95 / Gesetzgeber der Aegypter

"Nach ihm trat als Gesetzgeber der König Amasis auf. Er ordnete die Verhältnisse der Monarchen und die gesammte Staatshaushaltung von Aegypten, Auch er wird als ein höchst einsichtsvoller, und zugleich als ein menschenfreundlicher und gerechter Fürst gerühmt. Um Dieser Eigenschaften willen wurde er von den Aegyptern auch den Thron erhoben, ob er gleich nicht aus königlichem Stamme war. Die Elier schickten einmal eine Gesandschaft an ihn, weil sie die olympyischen Spiele mehr empor zu bringen wünschten; sie ließen ihn fragen, was zu thun sey, damit die Preise so gerecht als möglich vertheilt werden; er antwortete, es dürfe unter den Bewerber kein Elier seyn. Als sich Polycrates, derr Beherrscher Samos, Gewalthätigkeiten gegen seine Mitbürger sowohl als gegen die Fremden, die auf Samos landeten, erlaubte, so ließ ihm Amasis, mit welchem er ein Freundschaftsbündniß errichtet hatte, zuerst durch Abgeordnete zu einem milderen Verfahren rathen, und als er auf seine Vorstellungen nicht achtete, so kündigte er ihm schriftlich die Freundschaft und das Gastrecht auf, mit der Erklärung, er müßte sonst einer plötzlichen Trauerbotschaft gewärtig seyn, denn er wisse zuverläßig, daß einem Herrscher, der so seine Gewalt mißbrauchte, ein Unglück bevorstehe, Er erwarb sich dadurch die Achtung der Griechen, weil er so billig dachte, und weil es in kurzer Zeit eintraf, was er dem Polycrates angekündigt hatt. Der Sechste, der sich mit der Gesetzgebung in Aegypten Beschäftigte, war Darius, der Vater des Xerxes. Er mißbilligte die widerrechtlichen Eingriffe seines Vorgängers Cambyses in die Religion der Aegypter, und suchte sich nun den Menschen und den Göttern um sie gefälliger zu machen. Er unterhielt sich gern mit den Aegyptischen Priestern, um sich mit ihrer Götterlehre und mit der in den heiligen Büchern aufgezeichneten Geschichte vertraut zu machen; daraus lernte er die edle Denkart der alten Könige und ihre Milde gegen die Unterthanen kennen, und folgte ihrem Beispiele nach. Auf diese Art setzte er sich in ein so hohes Ansehen, daß ihn die Aegypter noch bei seinem Leben einen Gott nannten, was bei keinem der frühern Könige geschehen war, und nach seinem Tode widerfuhr ihm gleiche Ehre mit den Gerechteseten unter den alten Regenten von Aegypten. Dieß sind also die Männer, welche die Landesgesetze, die auch auswärts so berühmt geworden sind, mach und nach zusammengetragen haben. In der Folgezeit wurden manche zweckmäßige Verordnungen abgeschafft, als die Macedonier das Land einnahmen, welche der Herrschaft der Eingebornen für immer ein Ende machten."

 

96 / Reisen der Griechen nach Aegypten

Nachdem wir diese Beschreibung vollendet, haben wir noch Diejenigen unter den einsichtsvollsten und gebildetsten Männern des alten Griechenlandes aufzuzählen, welche nach Aegypten gereist sind, um sich mit den Gebräuchen des Volkes und seiner Wissenschaft bekannt zu machen. Die Aegyptischen Priester nennen unter den Fremden, welche, nach den Verzeichnissen in den heiligen Büchern, ihr Land besucht haben, den Orpheus, Musäus, Melampus, Dädalus; gerner den Dichter Homer, den Lycurg von Sparta und Solon von Athen, und den Philosophen Plato; ebenso den Pythagoras von Samos und den Mathematiker Eudorus; endlich den Democrit von Abdera und Cenopides Chios. Von diesen Männern weisen sie noch Spuren auf, entweder ihre Bildnisse, oder Orte und Gebäude, die nach ihnen benannt sind, Aus der Vergleichung Dessen, was Jeder in seinem Fache geleistet, führen sie den Beweis, daß diese Griechen Alles, wodurch sie sich unter ihrem Volk so berühmt gemacht, aus Aegypten entlehnt haben. Dorther, sagen sie, habe Orpheus die meisten der Gebräuche bei den Mysterien, die Feste der umirrenden Demeter und seine Fabeln über die Unterwelt mitgebracht, Denn die Weihe des Osiris sey einerlei mit der des Dionysos, und die der Isis und der Demeter seyen einander sehr ähnlich, nur in den Namen liege der Unterschied. Die Strafe der Gottlosen in der Unterwelt und die Gefilde der Frommen und die Schattengestalten, wie man sich gewöhnlich dieselben denke, seyen erdichtete Vorstellungen, von ihm in Umlauf gebracht, und zwar den Aegyptischen Leichengebräuchen nachgebildet, Nach einer alten Sitte nämlich führe in Aegypten der Todtenbegleiter Hermes den Leichnam des Apis eine Strecke weit, und übergebe ihn dann einem Andern, der ein Cerberusmaske trage. Auf diese Gewohnheit, welche den von Orpheus in Griechenland verbreiteten Lehren zum Grunde liege, deute Homer, wenn es in seinem Gedicht heisse [Od.XXIV, 1.2.] :

"Hermes aber entrief, der Kyllenier, jetzo die Seelen Jener erschlagenen Freier, und hielt in den Händen den Machtstab."

Und bald darauf [v.11-14] :

"Hin an Okeanos Flut, und hin an Leucadischen Felsen, Auch an Helios Thore hinweg, und dem Lande der Träume Ziehen sie; kamen dann halb zur Asphodeloswiese hinunter Wo die Seelen zugleich, die Schatten der Ruhenden wohnen."

Unter dem Ocean verstehe Homer hier den Fluß, weil die Aegypter in ihrer Sprache den Nil Ocean nennen. Unter Heliu Pylai [den Thoren der Sonne] aber denke er sich Heliopolis [die Sonnenstadt], und unter der Wiese, wo nach der Mythologie die Wohnung der Abgeschiedenen sey, die Gegend um den See Achersia, in der Nähe von Memphis, wo man die schönsten Wiesen und Teiche mit Lotus und Schilfrohr finde. Die Vorstellung, daß hier die Todten wohnen, sey auch ganz natürlich; denn die meisten und die feierlichsten Leichenbegängnisse der Aegypter werden in dieser Gegend gehalten; man führe die Verstorbenen über den Fluß und über den See Acherusta, und lege sie dann in die dortigen Gräber. Auch die übrige Beschreibung der Unterwelt nach der Griechischen Mythologie komme überein mit Gebräuchen, die noch gegenwärtig in Aegypten Statt finden. Der Kahn, der die Leichen hinüber schiffe, heisse Baris, und die Münze, die man dem Fährmann, in der Landessprache Charon genannt, für die Ueberfahrt bezahle, sey ein Obolus, Ferner sey nicht weit von dieser Gegend ein Tempel der finstern Hecate, und die Pforten des Cocytus und Lethe, mit ehernen Riegeln verschlossen. Außerdem stehen dort die Pforten der Wahrheit, und in der Nähe derselben eine Bildsäule der Gerechtigkeit, ohne Haupt.

 

97 / Reisen der Griechen nach Aegypten

Ebenso finde man viele andere Erzählungen der Mythologie in Gebräuchen der Aegypter wieder, in welchen sich nicht blos die Benennung, sondern die Thatsache selbst bis auf die gegenwärtige Zeit erhalten habe. In der Stadt Acanthus, jenseits des Nil's gegen Libyen, 120 Stadien von Memphis entfernt, sey ein durchlöchertes Faß, in welches 360 Priester jeden Tag Wasser aus dem Nil tragen. Nicht weit davon sehe man die Fabel von Oknus (?) verwirklicht, in einer Gesellschaft, wo an einem langen Strick vorn Einer flechte, und hinten Andere das Geflochtene wieder auflösen. Melampus soll aus Aegypten die Verehrung des Dionysos, so wie sie in Griechenland eingeführt ist, und die Fabeln von Cronis und von Titanenstreit, überhaupt die Geschichte von den Leiden (?) der Götter mitgebracht haben, Dädalus, behaupten die Priester, habe den Bau des Labyrinths nachgeahmt, das gegenwärtig noch steht, und nach Einigen vom König Mendes, nach Andern von Marus erbaut ist, um viele Jahre früher, als Minos regierte, Die alten Bildsäulen in Aegypten haben dieselbe Gestalt, wie die Werke des Dädalus in Griechenland. Die schöne Vorhalle am Tempel des Hephästos zu Memphis habe Dädalus gebaut; dafür sey ihm die Auszeichnung zu Theil geworden, daß sein eigenes Bild, von ihm selbst aus Holz geschitzt, in diesem Tempel aufgestellt worden sey. Zuletzt habe man dem erfindungsreichen Künstler, nachdem er noch viele andere sehr hoch geschätzte Werke ausgeführt, gättliche Ehre erwiesen; denn auf einer Insel bei Memphis stehe noch jetzt ein Tempel des Dädalus, den die Einwohner heilig halten. Zum Beweis, daß Homer bei ihnen gewesen, berufen sich die Aegypter unter Anderm besonders auf das Mittel, wodurch Helena den Telemach, da er in's Haus des Menelaus kam, die erlittenen Unfälle vergessen machte. Der Dichter muß über dieses kummerstillende Mittel genaue Nachrichten gehabt haben, da er erzählt, Helena habe es aus dem Aegyptischen Thebä von Thon's Gemahlin, Polydamna erhalten. Denn noch jetzt, sagt man, besitzen die dortigen Frauen ein Arznei, welche dieselbe Kraft habe, und in Diospolis allein (Thebä aber und Diospolis ist einerlei Stadt) wissen sie seit alten Zeiten den Trank zu bereiten, welcher Zorn und Leid wegnimmt. Aphrodite heisse in Aegypten "die Goldene", nach einer alten Ueberlieferung; es gebe auch ein "Feld der goldenen Aphrodite" bei Momemphis. Ferner habe Homer die Fabel von der Umarmung des Zeus und der Here, und von der Wanderung nach Aethiopien aus Aegypten entlehnt. Denn hier führe man des Heiligthum des Zeus jährlich einmal über den Fluß hinüber nach Libyen, und hole es nach einigen Tagen wieder, als ob Zeus selbst aus Aethiopien käme. Das Beilager des Gottes und der Göttin feiere man durch einen festlichen Aufzug, indem man die Heiligthümer beider Gottheiten auf einen Berg trage, den die Priester mit Blumen aller Art bestreuen.

 

98 / Reisen der Griechen nach Aegypten

Lycurg, Plato und Solon haben viele Aegyptische Gebräuche in ihre Gesetzgebung aufgenommen. Pythagoras habe seine heilige Sprache, seine geometrischen Sätze und seine Zahlenlehre, auch die Vorstellung von einer Wanderung der Seele durch alle lebende Wesen von den Aegyptern erhalten, Von Democrit glauben sie, er habe fünf Jahre bei ihnen zugebracht, und sich da viel astrologische Kenntnisse gesammelt. Ebenso habe Cenopides aus dem Umgang der Priester und Astrologen Manches gelernt, namentlich, daß die Sonne sich in einer schiefen Bahn bewegt, und in einer der täglichen Bewegung der Gestirne entgegengesetzten Richtung. Den Aegyptern verdanke nicht minder Eudorus alle die nützlichen Belehrungen aus der Sternstunde, die er den Griechen mitgetheilt, und durch die er sich einen so berühmten Namen gemacht habe. Aegypten haben die bekanntesten unter den alten Bildhauern besucht, Telekles und Theodorus, die Söhne des Rhökus, von denen das Bild des Pythischen Apollo auf Samos herühre. Die eine Hälfte desselben sey, nach der Sage, auf Samos von Telekles verfertigt, und die andere in Ephesus von seinem Bruder Theodorus. Da man die beiden Stücke zusammengefügt, haben sie so gut aneinander gepaßt, daß man glauben sollte, die ganze Bildsäule wäre das Werk Eines Meisters. Diese Gattung der Bildhauerei sey aber bei den Griechen gar nicht üblich, die Aegypter hingegen haben es darin zur höchsten Vollkommenheit gebracht. Diese schätzen nämlich bei den Bildsäulen die Verhältnisse nicht nach dem Augenmaße wie die Griechen, sondern so bald sie den Stein gebrochen haben, bestimmen sie schon das gehörige Maß für alle einzelnen Theile des Bildes von den kleinsten bis zu den größten, Die Höhe des ganzen Körpers theile man in 21 ¼ Theile, und messe darnach die Verhältnisse aller Glieder ab. Wenn sich daher die Künstler nur über die Größe der Bildsäule verabredet haben, so führen sie, getrennt von einander, ihre Arbeiten so vollkommen gleichförmig aus, daß man erstaune über diese eigenthümliche Geschicklichkeit. Das Bild auf Samos nun sey nach der Weis der Aegyptischen Kunst, vom Scheitel an durch die Mitte der Figur bis zum Unterleib in zwei Theile gespalten, die einander durchaus gleich und ähnlich sseyen. Auch sonst komme es mit den Aegyptischen Bildern fast ganz überein; denn die Hände seyen ausgestreckt, und die Füße fortschreitend. Ueber die Geschichten und Denkwürdigkeiten von Aegypten mag das Gesagte hinreichend seyn. Wir werden nun, nach dem Entwurf, den wir zu Anfang dieses Buch's vorgelegt, in dem folgenden mit der Erzählung der fabelhaften sowohl als der beglaubigten Begebenheiten fortfahren, und zwar im Osten mit der Geschichte der Assyrer beginnen.